Auswirkungen und Anzeichen einer Gehirnerschütterung
Seit dem im Jahr 2015 mit Will Smith erschienen Film „Concussion“ ist nicht nur in den USA das
Bewusstsein um mögliche Auswirkungen von Gehirnerschütterungen auf das Gehirn und den
restlichen Körper gewachsen. In dem Film spielt Will Smith einen Neurologen (Dr. Bennet Omalu),
der einen verstorbenen Footballspieler obduziert und darauf hin erkennt, dass eine massive
Schädigung des Gehirns mit dem Tod in Verbindung gebracht werden kann. Nach eingehenden
Untersuchungen wurde das Krankheitsbild der Chronisch Traumatischen Enzephalopathie (CTE)
entdeckt. CTE ist eine neurodegenerative Erkrankung, die mit einer abnormalen Anhäufung von
Tau-Protein einhergeht und zum Zelltod, Demenz und kognitiven Defiziten führen kann. Tau-
Protein ist für die Weiterleitung von Informationen zwischen den Nervenzellen mitverantwortlich.
Eine starke Anhäufung führt zu einer Art Verknotung, was die Kommunikationswege zwischen den
Nervenzellen negativ beeinflusst und zu einem Absterben von Neuronen führen kann. Eine
Gehirnerschütterung ist ein komplexer pathophysiologischer Prozess, der auf Grund von
biomechanischen Einwirkungen das Gehirn negativ beeinflusst.
Kein Sport verzeichnet mehr Gehirnerschütterungen als American Football. Dennoch wurde diese
Diagnose vor allem im American Football in den letzten Jahren kaum diagnostiziert. Der
ehemalige NFL-Spieler Mike Webster, der nach seinem Tode von Dr. Bennet Omalu obduziert
wurde, wies eine massive Form von CTE auf und dies obwohl in 27 Jahren Spielkarriere nicht
einmal eine Gehirnerschütterung diagnostiziert wurde - und das bei über 27.000 verzeichneten
Hits in seiner Spielerlaufbahn. Neben Mike Webster fallen auch viele andere NFL-Spieler CTE zum
Opfer. Die Boston University konnte feststellen, dass 87 von 91 verstorbenen NFL-Spielern unter
CTE litten. Darunter unter anderem Taler Sash, der an einer Überdosis Schmerzmitteln starb,
sowie Junior Seau, der Selbstmord mit einer Schusswaffe beging. Da Depressionen und
Angststörungen ebenfalls mit CTE in Verbindung gebracht werden konnten, muss die Frage
gestellt werden, in wie weit die neurodegenerative Erkrankung mitverantwortlich für den Freitod
gewesen sein könnte. Leider ist CTE nur durch eine Autopsie feststellbar. Bisher gibt es keine
Möglichkeit der exakten Früherkennung.
Bei einem Aufprall beim American Football erhöht das meist hohe Körpergewicht der Spieler die
auftretenden Kräfte. Bei einer Masse von meist über 100kg Körpergewicht können
Geschwindigkeiten von etwa 30km/h erreicht werden. Bei einer Gesamtmasse von 250kg, die
zwei kollidierende Spieler gemeinsam haben können, ergeben sich hier Gesamtkräfte von bis zu
40.000 Newton (in Relation zur Masse der Spieler, Geschwindigkeit und Aufprallzeit). Häufig
werden Beschleunigungskräfte von bis zu 130 g gemessen (das 130fache der
Erdbeschleunigung). Sogar im High School Football sind Werte von etwa 100g zu messen.
Doch auch im deutschen Sport ist eine Gehirnerschütterung allgegenwärtig. So gibt es
ausreichende Beispiele, wie z.B. 2011 als Fabian Tiefer (Spieler Fortuna Düsseldorf) nach einem
Kopfaufprall mit einem Knie für einen Moment das Bewusstsein verloren hatte. Eine
Gehirnerschütterung, die keine offensichtlichen Spuren oder Verletzungen hinterlässt und mit
klassischen bildgebenden Verfahren wie einem MRT auch nicht aufzudecken ist. Häufig bewirken
Zusammenstöße sogar keine Gehirnerschütterung, können dennoch langfristig auf Grund der
Häufigkeit zu ähnlichen Symptomen und neurodegenerativen Prozessen führen, die dem
Alzheimer sehr ähnlich sind. Fußballer, die am häufigsten köpfen, sind von Verletzungen am
stärksten betroffen. Doch obwohl man meinen würde, dass Fußballer besonders gefährdet sind,
da sie ja keinen Helm tragen, schützt der Helm nur vor Schädel-Hirn-Frakturen, jedoch nicht vor
Gehirnerschütterungen. Denn es ist primär die Beschleunigung des Kopfes und die erhöhten
Scherkräfte in den neuronalen Strukturen, die zu der Verletzung führen. Helme schützen hierbei
nur oberflächlich. Daher helfen auch keine moderneren und teuren Helme, die seit Jahren den USamerikanischen
Märkt überschwemmen.
Nicht nur Sportler, auch im Alltag ist die Anzahl der Gehirnerschütterungen hoch. So ist die
Wahrscheinlichkeit eine Gehirnerschütterung im Alltag zu erleiden meist sogar höher als im Sport.
Autounfälle (14%) und Stürze (47%) sind die häufigsten Ursachen für Gehirnerschütterungen im
Alltag. Während in Deutschland pro Jahr etwa 140.000 Gehirnerschütterungen diagnostiziert
werden, ist die Dunkelziffer wahrscheinlich weitaus höher. Denn häufig wird ein Kopfschlag meist
nicht als Gehirnerschütterung erkannt, da die exakte Messmethode fehlt. Zum einen eignen sich,
wie oben beschrieben, MRT und CT dafür nicht und zum anderen wird nur auf offensichtliche
Verletzungen geachtet. Dementsprechend werden sogar auch nach vermeintlichen
Gehirnerschütterungen nur sehr unspezifische Tipps seitens der Mediziner gegeben. Meist
handelt es sich bei diesen Tipps und viel Ruhe, Liegen und Schlafen, um dem Gehirn Zeit zu
geben sich selber zu heilen. Nach völliger Ruhe wird langsam wieder mit Bewegung und leichtem
Cardio angefangen. Schritt für Schritt wird dann die ursprüngliche sportliche Betätigung wieder
aufgenommen, da das Gehirn sich ja anscheinend selber heilt. Weit gefehlt, denn obwohl natürlich
das Gehirn tatsächlich nach einer Gehirnerschütterung selber heilen kann, gibt es häufig Fälle von
dem sogenannten „Post Concussion Syndrome“, in dem Betroffene auch noch Monate oder
Jahre Symptome der Verletzung beibehalten oder sich die Symptomatik verschlechtern kann.
Ganz zu schweigen von möglichen Symptomen, die aber nicht direkt mit einer
Gehirnerschütterung in Verbindung gebracht werden können, weil der Vorfall z.B. mittlerweile
Jahre her ist. So lassen sich neurodegenerative Erkrankungen im Alter nur sehr schwer einer
Gehirnerschütterung in jüngeren Jahren zuordnen.
Bei einer Gehirnerschütterung werden meist physische von psychischen Symptomen
unterschieden:
Physische Symptome:
Kopfschmerzen
Schwindelgefühl
Benommenheit
Muskuläre Dysfunktion
Lichtempfindlichkeit
Tinitus
Sprachstörungen
Sehstörungen
Psychische Symptome:
Konzentrationsstörungen
Orientierungsverlust
Gedächtnisverlust
Depressionen
Angstzustände
Neben der meist empfohlenen Ruhe gibt es viele Dinge, die Betroffene tun können und auch tun
sollten. Während Ruhe natürlich initial eine korrekte Entscheidung ist, um das Gehirn nicht weiter
zu überfordern, sollte sich in der zweiten Stufe direkt auf die Heilung des Gehirns fokussiert
werden. Diese Heilung können wir durch gezieltes Training bewusst positiv beeinflussen und
spezifisch an den individuellen Folgeerscheinungen arbeiten. Ziel ist es dabei das Gehirn
langfristig gesund zu halten und die Neurodegeneration aufzuhalten oder sogar zu verhindern.
Dabei lässt sich das Training in verschiedene Phasen und Kategorien aufteilen. Natürlich steht
dem zuerst das Erkennen einer Gehirnerschütterung im Vordergrund, da diese häufig nicht
ausreichend erfolgreich diagnostiziert werden kann. So sollte jeder Athletiktrainer bzw. Coach von
Risikosportarten (Fußball, Eishockey, American Football, Boxen, etc.) sich dieser Thematik
bewusst sein und genau wissen an welcher Stelle der jeweilige Sportler aus dem Spiel genommen
werden sollte. Der deutsche Fußballspieler Christoph Kramer prallte im WM-Endspiel 2014 mit
dem Argentinier Ezequiel Garay zusammen. Trotz einer schweren Gehirnerschütterung spielte er
zunächst weiter. Hätte der behandelnde Mannschaftsarzt eine Gehirnerschütterung korrekt
diagnostiziert, hätte Kramer mit Sicherheit nicht mehr weitergespielt. Denn er wurde erst etwa 15
Minuten später aus dem Spiel genommen, nachdem er verwirrt auf dem Platz umherlief und den
Schiedsrichter gefragt hatte wo er sich gerade befinde. Die Diagnose Gehirnerschütterung kam
erst im Nachgang.
Einer der schnellsten und genauesten Tests zur Schnelldiagnose einer Gehirnerschütterung ist der
King-Devick-Test. Dabei handelt es sich um eine Abfolge von visuellen Tests, unter anderem
Lesetests, um primär die visuellen Fähigkeiten zu bestimmen. Dabei wird auch auf die
Mustererkennung von Zahlen und auf die Sprachfähigkeit geachtet, da Sprachstörungen häufig
ein Symptom von Gehirnerschütterungen sein können. Neben diesem soggenanten „Sideline
Assessments“, also Tests, die man mit den Spielern direkt am Spielfeldrand ausführen kann, gibt
es ausreichend viele Folgetests, die man nachträglich nutzen kann, um eine valide Diagnose zu
stellen.
An dieser Stelle möchte ich gerne auf einige dieser Tests eingehen, die einem Athletiktrainer oder
Coach einen Nachweis über eine mögliche Gehirnerschütterung geben können. Natürlich sollte
bei einem Verdachtsfall immer ein Arzt miteinbezogen werden, da die Hilfe, die ein Coach leisten
kann immer nur ergänzend zu einer medizinisch-fachlichen Betreuung erfolgen sollte. Daher ist im
Zweifelsfall jede Maßnahme mit dem Arzt abzuklären.
Balanced Error Scoring System (BESS)
Beim „Balanced Error Scoring System“ wird die Gleichgewichtsfähigkeit des Athleten geprüft.
Hier ist vor allem interessant zu vergleichen wie eine unterschiedliche Standbreite zu
Gleichgewichtsproblemen führen kann. Gleichgewichtsprobleme werden häufig durch einen
breiteren Stand kompensiert.
Neben der Standbreite verlieren viele Betroffene die Orientierung, wenn die Augen geschlossen
werden. Dies deutet ebenfalls auf ein Problem des vestibulären Systems hin. Da die Augen
ebenfalls für unsere Orientierung im Raum und Gleichgewichtsfähigkeit verantwortlich sind, sind
sie in der Lage eine fehlerhafte Leistung des Gleichgewichtsorgans zu kompensieren. Werden die
Augen aus der Gleichung genommen, ist das vestibuläre System quasi auf sich alleine gestellt.
Romberg - beidbeinig
Romberg - einbeinig
Romberg - beidbeinig, geschlossene Augen
Romberg - einbeinig, geschlossene Augen
HWS-Screening
Beim HWS-Screening führt der Athlet unterschiedliche aktive Beweglichkeitstest im Bereich der
HWS aus. Dabei ist darauf zu achten, ob eine oder mehrer Bewegungen eine reduzierte
Beweglichkeit haben und während der Ausführung schmerzhaft sind. Häufig muss unterschieden
werden zwischen einfachen Verspannungen auf Grund einer grundsätzlichen mangelnden
Mobilität oder bewegungsinduzierte Störungen wie z.B. plötzlich auftretender Schwindel oder
Kopfschmerzen. Diese beiden letztgenannten Symptome deuten eher auf Auswirkung einer
Gehirnerschütterung hin.
HWS-Flexion
HWS-Extension
HWS-Latflex
Bei den Tests fällt die Bewertung sehr individuell aus. Es ist auf Abweichungen zu achten, bzw.
Defiziten, die stark von der Norm abweichen. Das beste Resultat kann erzielt werden, wenn man
von jedem Athleten vor einer möglichen Gehirnerschütterung einen Baseline-Test macht. Bei
einem Baseline-Test handelt es sich um einen Test der in einem asymptomatischen Zustand
ausgeführt wird, quasi wenn der Athlet beschwerdefrei ist. Der Vergleich vom Baseline-Test zu der
Leistung im Test nach einer möglichen Gehirnerschütterung gibt Auskunft über die möglichen
Auswirkungen des Vorfalls. Je stärker die Symptomatik, desto schwerwiegender war der
Zusammenstoß.
Quelle:
https://www.cbsnews.com/pictures/nfl-football-players-with-cte/2/ (21.11.18)
https://www.npr.org/sections/health-shots/2018/01/18/578355877/repeated-head-hits-notconcussions-
may-be-behind-a-type-of-chronic-brain-damage?t=1542789295939
https://de.wikipedia.org/wiki/Gesundheitsrisiken_im_American_Football
https://www.zeit.de/2013/22/gehirnerschuetterung-folgen-sport
https://www.sueddeutsche.de/gesundheit/sportmedizin-balla-balla-im-finale-1.3562517